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Expose

 

„Freunde“      von     Aleksandra Fedorska

 

Valentin Schulz sah ihn zu letzten Mal als dieser im Gehen begriffen die Tür hinter sich schloss und murmelte: „Ja mein Freund ein Tiefpunkt, ein Tiefpunkt, aber du weißt ja was für den Fall zu tun ist.“ Tagelang, wochenlang wurde es still um den lauten, schnellen den umtriebigen Jürgen. Kein Anruf, kein Besuch. Valentin kam sich nun etwas überflüssig vor, ohne ihn, den Wirren, den Ungreifbaren, den Kindlichen.

Als er am Donnerstag ins Cafe ging und wie üblich seinen Kaffee bei Thomas im Souterrain bestellte, legte dieser die Tageszeitung bei. Auf Seite 14 da war sie nun die erste Nachricht seit Wochen. So endgültig. Erhängt hat er sich. „Tragischer Selbstmord in der Psychiatrie des St. Elisabeth Krankenhauses in Gerolstein“ hieß es laut Überschrift. Einige kurze Spalten platten Textes und sein Bild. Jürgen von Tannen lebte nicht mehr.

Valentin riss den Artikel hastig heraus und legte Thomas genug auf den Tresen  für den Kaffee und für eine neue Zeitung. Schnell trat er in die Pedalen, obwohl die Kette lose war, hatte er Glück und erreichte die Stelle ohne Schieben zu müssen. An der dritten Bank vor dem Quellpavillion eingeklemmt unter den hinteren Schrauben, da war der kleine Schlüssel und gleich dahinter ein Zweiter. Davon war nie die Rede gewesen. Jürgen hatte es so umständlich erklärt, so ausgeschmückt und  dabei fast geflüstert. In dieser Nacht war Valentin nun sein Komplize, sein Anvertrauter und sein Freund geworden. Sein Anwalt war er schon lange nicht mehr. Das lag nicht nur an den unbezahlten Rechnungen, sondern daran, dass Jürgen ihm viel, viel zu viel sogar fast Alles erzählt hatte.

Das Schließfach war voll von kleinen handgeschriebenen Notizen, Pfeilen, Tabellen auf kleinen Zetteln, auf Servietten und dazwischen Jürgens kleiner Taschenkalender. Einer von diesen, die es nur noch selten zu kaufen gibt seit die Leute Timer und Handys haben. In die hintere Hosentasche passend, mit den Wochentagen und mit kleinen Buchstaben am rechten Rand im Adressbuch. Er nannte es „sein Gehirn“. Den Inhalt des Schließfachs schüttelte Valentin in die Tüte und den Kalender steckte er in die innere Manteltasche, die aufgerissen war, sodass der Kalender im unteren Saum des Mantels landete und beim Radfahren gegen sein  Knie stieß.

In hinteren Küchenbereich räumte er die Farben, die Tüten und die Aschenbecher fort. Nahm jeden Schnipsel einzeln aus der Tüte. Holte den Kalender hervor und sortierte. Anfangs versuchte er nach Datum zu sortieren, dann nach den Namen. Schließlich ging er nur noch nach seinem Gedächtnis.

Jürgen von Tannen suchte ihn zum ersten Mal vor etwa fünf Jahren in dem kläglichen Raum, der sich Kanzlei schimpfte, auf. Sein Anliegen war zwar umständlich, aber machbar. Eine lapidare Versicherungssache nichts weiter. Kurze Zeit später bat Jürgen telefonisch um eine Auskunft in einer Mietsache. Diese Auskünfte häuften sich. Valentin schickte keine Rechnungen mehr, sondern telefonierte immer häufiger mit dem Mandanten. Jürgen so stellte sich heraus war Mietnomade, Versicherungsbetrüger, Student der Kunstgeschichte im 47 Semester, nebenberuflich war er Stadtführer aber seine größte Einnahmequelle waren die Damen, die er meist über die Burg-, Stadt- und Werksführungen in Gerolstein kennenlernte. In den Sommermonaten sorgte er sozusagen für die Nachsaison vor. Er brauchte schließlich eine warme Wohnung, ein Auto, eine Postadresse und gern auch ein wenig Taschengeld für den Winter, wenn sich der Schnee und Regen über die Eifel  legen und die Touristen wegbleiben und für Jürgen das Leben um ihn herum grau und leer wurde. Daher hielt er sich zur Absicherung ab September gleich mehrere Optionen offen. „Die Frauen können so launisch sein“ sagte er dazu und verfolgte gern drei oder vier Romanzen zur selben Zeit um mögliche Ausfälle ausgleichen zu können. Seine bevorzugten Winterreviere waren Koblenz und Trier. Da nahm er sich Zeit für das Studium, wie er Valentin gern erzählte. Das Studium, das Jürgen meinte, waren ambulante Therapien oder auch mal 6 Wochen Tagesklinik. Da entdeckte und erfand er sich  stets aufs Neue. Schuf eine neue Wirklichkeit für die Sommersaison. Da wuchsen die Anekdoten über die Burgherren und Dienstmädchen, aber auch die Liebschaften zwischen jungen Hauslehrern und Kaufmannsgattinen zu mitreisenden Monologen heran, denen sich niemand erwehren konnte.

Im letzten Winter hatte Jürgen eine außerordentliche Glückssträhne. Gleich zwei Damen buhlten um seine Gunst. Reich, verheiratet und furchtbar einsam waren sie beide. Jürgen nahm Valentin damals auf nächtliche Fahrten mit den schönen Volvo mit, den ihm eine der Frauen lieh um schneller bei ihr sein zu können. Jürgen konnte kein Schweigen ertragen, er erzähle immerfort. Valentin war es recht, oder besser gesagt es kam ihm recht, eine vertraute Stimme zu hören tief in der Nacht, wo er sonst nur der Stille seiner vier Wände zuhören konnte.

Um die Weihnachtszeit wirkte Jürgen entgegen seiner sonstigen depressiven Phase in der Jahreszeit zunehmend erregt. Er begann sich für Geld zu interessieren. Für viel Geld, für Anlagemöglichkeiten, für Zinsrenditen. In seinem Kalender häuften sich Treffen mit GFXX. Gegenüber Valentin hieß  sie irgendwann nur noch die Fortuna. Jürgens Mühen konzentrierten sich von nun an ganz auf Fortuna. Andere Verbindungen, wie die mit der Arztgattin und der Sekretärin vom Touristikverband Vulkaneifel, ließ er fallen.

Im Februar wirkte Jürgen sehr überspannt. Den Volvo fuhr er nicht mehr. Stattdessen holte er Valentin mit einem Mercedes CLK zu den nächtlichen Fahrten entlang der beleuchteten Burgen ab. Einen normalen Schlaf kannte Jürgen nicht mehr. Dazu brauchte es eine manchmal auch zwei Tavorpillen.

Als Valentin die Schnipsel und Zettelchen auf den Boden sortierte, handelten diese immer häufiger von GFXX1 und GFXX2. In der Tüte lagen nun nur noch zerknitterte Kopien. Valentin glättete sie indem er sie zwischen dem Ellenbogen und dem Oberschenkel durchzog. Alles Fachartikel aus Wirtschaftspublikationen, die Jürgen durchgeackert zu haben scheint. Er kritzelte Kommentare, Hinweise und Notizen hinein und machte dicke Kreise um die Worte „geschlossener Fond“. Valentin schlug den Begriff nach: „Diese werden wegen ihrer Anlageschwerpunkte auch alternative Anlagen genannt. In Summe sind so z. B. in den Jahren 2003 bis 2008 bundesweit jährlich über 10 Mrd. Euro in geschlossenen Fonds investiert worden. Da der Markt der geschlossenen Fonds außer der Prospekthaftung keiner staatlichen Kontrolle unterlag, sprach man hier auch vom grauen Kapitalmarkt mit hoher Anfälligkeit für Betrug und Missbrauch.“ Er las es mehrmals durch. Schaute auf die Schnipsel, die Artikel und den kleinen Kalender mit Namen und Nummern. Die Nummern waren hinter zwei unterschiedlichen Vorwahlen 5-6stellig. Da wurde es Valentin  klar. „Von wegen dein Gehirn, es ist dein Kassenbuch, du Schlawiner!“ schrie Valentin in seiner leeren Wohnung hervor. Wie ein Verrückter rannte er ins Nachbarhaus, in seine verrauchte und bescheidene Kanzlei kopierte alles was Jürgen ihn hinterlassen hatte. Schließlich setzte er sich an den Computer und schrieb alles auf, bis es hell wurde, alles was er über den genialen Anlagenbetrüger und das potenzielle Mordopfer Jürgen von Tannen wusste. Er beschrieb sein Wesen so gut er konnte, seine Tücke, sein Talent für die Frauen, das Fabulieren und seine Depression. Das ganze Papier steckte er in einen großen Umschlag, frankierte diesen und adressierte ihn an das Bundeskriminalamt in Wiesbaden.

Thomas öffnete gerade sein Cafe als Valentin vom Postkasten an der Straßenecke zurückkehrte. Wie immer bestellte er dort seinen Kaffee und las die Zeitung. Dann erst ging er ruhigen Schrittes in Richtung des Postamtes umklammerte den kleinen Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger, lachte in sich hinein und bedanke sich bei seinem Freund Jürgen. Valentin überquerte in Gedanken versunken die Straße vor dem Postamt, als ein silberner Volvo mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zu raste. Er spürte einen festen Griff am hinteren Kragen, der ihn zwei Schritte rückwärst zog. Das Auto mit einer Frau am Steuer schoss direkt vor ihm vorbei. Thomas löste sich von Valentins Mantel und sagte nur: „Man gut, dass ich noch Wechselgeld brauchte, sonst wäre nicht viel von Dir übrig.“

 

 

 

 

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