Locke John - Ein Versuch über den menschlichen Verstand.PDF

(2610 KB) Pobierz
Locke - Versuch über den menschlichen Verstand
John Locke
Ein Versuch
über den menschlichen Verstand
(An essay concerning human understanding)
Gleich wie du nicht weisst den Weg des
Windes, und wie die Gebeine im Mutterleibe
bereitet werden, also kannst du auch Gottes
Werk nicht wissen, das er thut überall.
Prediger Salomo, Kap. 11, v. 5.
Wie schön ist es, lieber sein Nichtwissen
einzugestehen, als Dergleichen herauszu-
schwätzen und sich selbst zu missfallen.
Cicero, Ueber die Natur der Götter, Buch I.
Locke: Versuch über den menschlichen Verstand
2
Widmung
Dem Ehrenwerthen Thomas,
Grafen von Pembroke u. Montgommery.
Mein Lord!
Diese Schrift ist unter Ihren Augen entstanden und
wagt sich auf Ihr Geheiss in die Welt; sie kommt
wegen des Schutzes, den Sie ihr vor mehreren Jahren
zugesagt haben, in Folge eines gewissen natürlichen
Rechts zu Ihnen. Es geschieht nicht, weil etwa ein
dem Buche vorgesetzter Name, sei er auch noch so
gross, die darin enthaltenen Fehler verdecken könnte;
denn gedruckte Sachen müssen durch ihren eigenen
Werth oder durch die Meinung der Leser stehen und
fallen; indess kann die Wahrheit sich nichts Besseres
wünschen, als einen vorurtheilsfreien Hörer, und die-
sen kann mir Niemand mehr als Eure Lordschaft ge-
währen, der, wie allbekannt, mit ihr bis in ihre ge-
heimsten Tiefen vertraut geworden ist. Ihre Untersu-
chungen auf den höchsten und allgemeinsten Gebieten
des Wissens sind, wie Jedermann anerkennt, weit
über das gewöhnliche Bereich und über die bekannten
Methoden hinausgegangen; deshalb wird Ihre Auf-
nahme dieser Schrift und Ihre Billigung meiner
Locke: Versuch über den menschlichen Verstand
3
Absicht sie wenigstens davor bewahren, dass sie an-
gelesen verdammt wird; vielmehr wird man dann sich
zu einer Prüfung ihres Inhaltes entschliessen, während
ohnedem sie vielleicht nicht der Beachtung werth ge-
halten worden wäre, weil sie von der betretenen Heer-
strasse etwas abgeht.
Der Vorwurf der Neuheit gilt bei allen Denen als
eine schwere Schuld, die den Kopf eines Menschen
wie ihre Perücken beurtheilen; nämlich nach der
Mode, und die nichts, als die angenommenen Lehren
für wahr gelten lassen. Die Wahrheit hat bei ihrem er-
sten Erscheinen kaum je und irgendwo die Stimmen
für sich gehabt; neue Meinungen gelten immer als
verdächtig, und man widerspricht ihnen, blos weil sie
noch nicht gemeingültig sind. Allein die Wahrheit
bleibt gleich dem Golde nicht weniger sie selbst, weil
sie frisch aus dem Schacht gehoben worden ist. Die
Probe und Prüfung soll ihren Werth bestimmen, aber
nicht eine alte Mode, und selbst wenn sie noch unter
keinem öffentlichen Stempel umläuft, so kann sie
trotzdem so alt sein, wie die Natur selbst, und ist si-
cherlich deshalb nicht weniger acht.
Eure Lordschaft könnte einen grossen und überzeu-
genden Beweis dazu liefern, wenn Sie das Publikum
mit einigen von den weiten und umfassenden Ent-
deckungen erfreuen wollten, die Sie in Bezug auf bis-
her unbekannte Wahrheiten gemacht haben. Denn
Locke: Versuch über den menschlichen Verstand
4
bisher sind es nur Wenige, denen Sie Etwas davon
mitgetheilt haben. Dieser Grund allein genügte mir,
auch wenn keine weiter vorhanden wären, Ew. Lord-
schaft diesen Versuch zu widmen. Sollte er mit den
Theilen jenes hohen und weiten Systems der Wissen-
schaften übereinstimmen, von welchen Sie einen so
neuen, genauen und lehrreichen Auszug gemacht
haben, so ist es Ruhmes genug für mich, wenn Sie
mir die öffentliche Erklärung gestatten, dass ich auf
Gedanken gekommen bin, die von den Ihrigen nicht
ganz abweichen. Sollte dies durch Ihre Ermuthigung
der Welt bekannt werden, so wird dies hoffentlich
Ew. Lordschaft selbst jetzt oder später weiter führen,
und Sie gestatten mir zu sagen, dass Sie hier der Welt
ein Angeld auf ein Werk geben, was, wenn sie es er-
tragen kann, deren Erwartungen nicht täuschen wird.
Dies zeigt, welches Geschenk ich Ihnen hier über-
reiche; genau ein solches, wie ein Armer es seinem
reichen und grossen Nachbar giebt, der den Strauss
von Blumen oder Früchten gern annimmt, obgleich er
selbst eine Fülle davon in grösserer Vollkommenheit
besitzt. Werthlose Dinge werden werthvoll, wenn sie
als die Gaben der Ehrfurcht, Hochachtung und Dank-
barkeit auftreten; diese Gefühle für Ew. Lordschaft zu
hegen, baten Sie mir so gewichtigen und besondern
Anlass gegeben, dass, wenn diese Gefühle einen ihrer
Grösse entsprechenden Werth der sie begleitenden
Locke: Versuch über den menschlichen Verstand
5
Gabe gewähren Könnten, ich in Wahrheit mich rüh-
men könnte, Ihnen das reichste Geschenk zu machen,
was Sie je empfangen haben. Jedenfalls habe ich die
Pflicht, jede Gelegenheit zum Anerkenntniss der lan-
gen Reihe von Gunstbezeugungen aufzusuchen, die
ich von Ihnen empfangen habe; Gunstbezeugungen,
die schon an sich gross und bedeutend, es doch weit
mehr durch die Geneigtheit, Sorgfalt, Freundlichkeit
und andere verbindliche Nebenumstände wurden, von
denen sie stets begleitet waren. Zu Alledem sagen Sie,
was denselben den höchsten Werth und Reiz giebt,
dass Sie mich Ihrer fernem Achtung würdigen und mir
Ihr Andenken, ich hätte beinah gesagt, Ihre Freund-
schaft bewahren wollen. Ihre Worte und Handlungen
zeigen dies bei allen Gelegenheiten, selbst Andern,
wenn ich nicht gegenwärtig bin; so dass ich ohne Ei-
telkeit es, sagen darf, da Jedermann es weiss; ja es
würde unhöflich sein, wenn ich nicht anerkennen
wollte, was so viele Zeugen und jeder Tag mir sagen,
wie sehr ich Ew. Lordschaft dafür verpflichtet bin. Ich
wollte, Ihre Worte könnten meiner Dankbarkeit so
beistehen, wie sie mich von meinen grossen Ver-
pflichtungen gegen Ew. Lordschaft überzeugen. Ich
würde sicherlich über den Verstand schreiben, wenn
ich auch keine Verpflichtungen hätte; allein ich bin
durchdrungen von denselben und benutze diese Gele-
genheit, um der Welt zu zeigen, wie sehr ich sein soll
Zgłoś jeśli naruszono regulamin