Terra Fantasy 082 - Norton, Andre - Hexenwelt 9 - Die Macht Der Hexenwelt.pdf

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Andre Norton
Die Macht der Hexenwelt
ERICH FABEL VERLAG KG - RASTATT/BADEN
-HZ-
Vorwort
"Andre Norton schreibt in der Hauptsache für junge Leute", erklärt Don Wollheim in einem
Vorwort zu einem ihrer Bücher. "Von Anfang an hatte sie ein tiefes Verständnis für die moderne
Jugend, das den meisten Jugendbuchautoren ihrer Zeit fehlte. Sie wußte, daß sie sie nicht zu
belehren brauchte, wußte, daß diese Jugend sich mühelos in Ideen und Konzepten zurechtfand, die
der älteren Generation als ,Zukunftsschock' zu schaffen machte.
So erzählt sie von kolonisierten Planeten und den Problemen der Menschen, die dort leben; von
fremden Wesen, die uns freundlich oder feindlich gesinnt sein könnten; sie vermag eine Vorstellung
davon zu geben, wie solch ein außerirdisches Bewußtsein sein könnte, was in einem
nichtmenschlichen Geist vorgehen mag, und welche ungelösten Rätsel im Universum unser harren
mögen.
Bei ihr wird all dies ein ganz natürlicher Teil der Szenerie, in der Figuren agieren, die Fleisch
und Blut sind, junge Menschen meist, doch alt genug, Verantwortung aller Art zu tragen.
Eine Story mag in der grimmigen Umwelt eines Ghettos der Flüchtlinge eines kosmischen Krieges
spielen - ihre Leser haben keine Schwierigkeit, sich hineinzuversetzen. Ihre Darstellung von
Handel im Weltraum, von großen Gesellschaften und .freien Händlern', ist lebendig und
vorstellbar. Sie setzt einen Menschen allein auf einer fremden Welt aus und vermag einen
unmittelbaren Eindruck von dieser Fremdheit zu vermitteln, so daß der Leser diese phantastische
Situation nachempfinden kann.
Sie kennt und liebt Tiere, und diesem Respekt und Gefühl für die Geschöpfe der Welt begegnet
man auch auf ihren fernen Welten wieder..."
Trotz. ihrer Zurückgezogenheit vom Fandom und der SF-Szene gehört Andre Norton heute in die
Reihe der beliebtesten Science-Fiction-Autoren, und mit ihrer Serie von Romanen und Stories um
die HEXENWELT, die sie Anfang der sechziger Jahre begann, hat sie sich auch in der Fantasy
einen festen Platz erobert. Vor allem die Charakterisierung weiblicher Figuren, wie sie in der
Fantasy noch immer recht selten zu finden sind, ist ihre Stärke.
Brixia, die Heldin des vorliegenden Bandes, ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür.
Hugh Walker
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Blasses Sonnenlicht beschien die oberen Hänge dieses unbekannten Tales im Westen, in das
Brixia auf ihrer ziellosen Wanderung geraten war. Es war weit genug entfernt von den verwüsteten
Landen im Osten, um eine kleine Atempause und ein wenig zweifelhafte Sicherheit zu versprechen,
solange man vorsichtig blieb.
Brixia hockte auf den Fersen und betrachtete mißmutig die fernen Wolken im Osten, die
schlechteres Wetter ankündigten, dann wandte sie sich wieder der Aufgabe zu, die dünne Schneide
ihres Messers auf dem Schleifstein vor- und zurückzuziehen. Ängstlich beobachtete sie dabei das
abgewetzte Stahlblatt. Es war schon so viele Male geschärft worden, und obgleich gut geschmiedet
und kräftig, stammte es doch aus der Vergangenheit, aus jener Vergangenheit, an die sie jetzt kaum
noch zurückdachte. Sie wußte, daß sie achtsam damit umgehen mußte, sonst würde das dünne
Metall abbrechen, und dann würde sie ohne Werkzeug und Waffe sein.
Ihre Hände waren sonnengebraunt und vernarbt, ihre Fingernägel gebrochen und
schmutzumrandet, und selbst kräftiges Scheuern mit Sand vermochte diesen Schmutzrand nicht
mehr ganz zu beseitigen. Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, daß diese Hände einstmals nur die
Spindel eines Spinrads, das Weberschiff eines Webstuhls oder eine Nadel gehalten hatten, um zu
spinnen, zu weben oder mit bunten Fäden Bilder auf die dicken Tuchbehänge zu sticken, die dazu
bestimmt waren, die Mauern einer Heimburg zu bedecken. Ein anderes Mädchen hatte jenes
angenehme und behütete Leben in Hochhallack geführt, bevor die Eindringlinge kamen. Ein
Mädchen, das gestorben war in all der Zeit, die sich hinter Brixia erstreckte wie ein langer
Korridor, dessen anderes Ende in ihrer Erinnerung so weit zurücklag, daß sie Mühe hatte, sich
darauf zu besinnen.
Daß Brixia die Flucht aus jener vom Feind belagerten Burg, die bis dahin ihr Heim gewesen war,
überlebt hatte, ließ sie ebenso hart und ausdauernd werden wie die Metallklinge in ihrer Hand. Sie
hatte gelernt, daß Zeit nicht mehr bedeutete als ein Tag, dem sie sich stellen mußte von
Sonnenaufgang bis zur einbrechenden Dunkelheit, bis sie irgendein Obdach für die Nacht gefunden
hatte. Es gab keine Festtage, keine Benennung der Monate, nur Zeiten der Hitze und Zeiten der
Kälte, wenn ihr sogar die Knochen weh taten, wenn sie mitunter der Husten plagte und der Frost sie
so biß, daß sie meinte, ihr würde nie wieder warm werden.
Jetzt war kaum noch überflüssiges Fleisch an ihrem Körper; sie war so dünn und stark wie eine
Bogensehne und, auf ihre Weise, fast ebenso tödlich. Daß sie früher einmal in feine Wolle
gewandet gewesen war und eine Bernsteinkette um den Hals und Goldringe an den Fingern
getragen hatte, kam ihr jetzt wie ein Traum vor.
Angst hatte sie auf all ihren Wegen begleitet, bis diese Angst zu einem vertrauten Freund
geworden war, ohne den sie sich seltsam nackt und verloren gefühlt haben würde, hätte man ihr
diese Angst plötzlich genommen. Es hatte Zeiten gegeben, da sie beinahe bereit gewesen war, den
hartnäckigen Willen zum Durchhalten aufzugeben und den Tod zu empfangen, der ihrer Fährte
folgte wie ein Spürhund.
Aber noch immer war in ihr etwas von jener Entschlossenheit, die ein Erbe ihres Hauses war. Floß
in ihren Adern nicht das Blut von Torgus? Und alle Menschen in den südlichen Tälern von
Hochhallack hatten das Lied von Torgus und seinem Sieg über die Macht des Steins von Llan
gekannt. Torgus' Haus mochte an Land und Reichtum zwar nicht so groß gewesen sein, aber an
Mut und Kraft gemessen, mußte es zu den Größten gezählt werden.
Brixia strich sich eine Strähne ihres sonnengebleichten Haares, das sie ungleichmäßig in
Nackenlänge abgeschnitten trug, aus dem Gesicht. Für eine, die durch unbesiedelte Lande streunte,
waren die goldblonden Flechten einer Bewohnerin der Frauengemächer unpassend.
Während sie wieder vorsichtig das Wasser über den Schleifstein zog, summte sie das Kampflied
von Llan vor sich hin, aber so leise, daß nur ihre eigenen Ohren es hören konnten. Aber es war auch
niemand da, der ihr hätte zuhören können; sie hatte die Umgebung bei Tagesanbruch gründlich
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ausgekundschaftet. Es sei denn, man wollte den schwarzgefiederten Vogel, der von einem
knorrigen Baum herabkrächzte, als Zuhörer zählen.
Sie prüfte die Schärfe des Messers an der widerspenstigen Strähne, die ihr immer wieder in die
Augen fiel. Der geschliffene Stahl durchschnitt sie mühelos. Sie ließ die Büschel zwischen ihren
Fingern los, und der Wind trug die Haare davon. Im gleichen Augenblick wurde sie wieder von
Angst erfaßt. Es wäre in diesem unbekannten Land wohl klüger gewesen, dieses Teilchen ihrer
selbst gut zu vergraben, denn es gab da alte Legenden von Kräften, die sich der abgeschnittenen
Haare und Fingernägel und sogar des Speichels, der einem aus dem Munde floß, bemächtigten und
dazu benutzen konnten, böse Magie zu wirken.
Nur, soweit sie wußte, war hier niemand, den man fürchten mußte. Hier in der Nähe der Einöde
gab es wohl noch Spuren jener, die einst dieses Land beherrscht hatten. Steinerne Monolithe hatten
die Alten hinterlassen, seltsame Orte, die den Geist anzogen oder warnten, aber das waren Zeichen
längst entschwundener Macht, und jene, die sie ausgeübt hatten, waren auch längst dahingegangen.
Der schwarze Vogel stieß wieder sein rauhes Geschrei aus, als wolle er ihr widersprechen.
"He, Schwarzer, sei nur nicht so kühn", sagte Brixia und blickte zu dem Vogel auf. "Oder willst
du dich auf einen Kampf mit Uta einlassen?" Und dann spitzte sie die Lippen und stieß einen Pfiff
aus.
Der Vogel kreischte böse, als wüßte er genau, wen sie auf diese Weise rief, und dann erhob er sich
in die Luft.
Aus den grünen Grasbüscheln, die hochstanden, da es in diesen Hügeln keine Schafe mehr gab,
die sie abweideten, erhob sich ein pelziger Kopf. Verärgert starrte die Katze aus
zusammengekniffenen Augen dem Vogel nach, der nach einem letzten drohenden Krächzen
davonflog, dann stolzierte sie mit der ganzen Würde ihrer Art zu Brixia hin.
Das Mädchen hob ihre Hand zur Begrüßung. Sie waren jetzt schon seit einer ganzen Weile Weg-
und Lagergefährten, und Brixia fühlte sich insgeheim geschmeichelt, daß Uta sich bereitgefunden
hatte, sie auf ihren ziellosen Wanderungen zu begleiten.
"War die Jagd gut?" fragte sie die Katze, die sich jetzt eine Armlänge von ihr entfernt
niedergelassen hatte und ihre Aufmerksamkeit dem Säubern eines Hinterbeines mit der Zunge
widmete. "Oder sind die Ratten weitergezogen, als es in dieser Ruine keine Menschen mehr gab,
denen sie Futter stehlen konnten?" Mit Uta zu sprechen war die einzige Gelegenheit, ihre Stimme
zu benutzen auf ihrer einsamen Wanderung.
Brixia beugte sich vor und betrachtete die Ruinen unterhalb des Hügels. Den Überresten nach zu
urteilen, war dieses Tal einmal gut besiedelt gewesen. Das befestigte Herrenhaus mit dem
anschließenden Wehrturm, obgleich jetzt ohne Dach und mit verfallenden Mauern, die Feuerspuren
aufwiesen, mußte früher recht ansehnlich gewesen sein. Sie zählte zwanzig Landmannshäuschen,
von denen allerdings nur noch die Umrisse der Mauern übriggeblieben waren, und einen größeren
Haufen Steine, der ein Gebäude kennzeichnete, das einmal eine Schenke gewesen sein mochte.
Eine Straße zog sich wie ein Band durch die Siedlung, und Brixia vermutete, daß sie geradewegs
zum nächsten Flußhafen geführt hatte. Auf diesem Weg mußten auch die Händler in diese oberen
Täler gekommen sein, ebenso wie jene fremdartigen und nur teilweise geduldeten Wanderer der
Einöde, die an den Orten der Alten nach Schätzen suchten und in einer solchen Siedlung einen
guten Marktplatz für ihre Entdeckungen gefunden haben würden.
Sie wußte nicht, welchen Namen jene, die hier gelebt hatten, ihrer Siedlung gegeben hatten, und
sie konnte nur Vermutungen darüber anstellen, was geschehen war, um sie wieder in Einöde zu
verwandeln. Jene Eindringlinge, die während des Krieges ganz Hochhallack verwüstet hatten,
konnten nicht so weit ins Inland gekommen sein, aber der Krieg selbst hatte Ungutes
hervorgebracht, das weder fremd noch einheimisch, sondern beidem entsprungen war.
Während jener Zeit, als die Männer dos an der Küste kämpften, hatten zweibeinige Wölfe, die
Geächteten aus der Einöde, nach Belieben geraubt, geplündert und gebrandschatzt. Brixia zweifelte
nicht daran, daß sie, wenn sie sich dort unten umsah, erschreckende Beweise dafür finden würde,
wie diese Siedlung untergegangen war. Man hatte sie ausgeraubt und vermutlich sogar die Ruinen
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mehr als nur einmal durchkämmt. Sie selbst war nicht die einzige Landstreicherin in dieser
Wildnis. Dennoch konnte sie stets hoffen, noch irgend etwas Nützliches zu finden, und wenn es
auch nur ein zerbeulter Becher war.
Brixia wischte sich die Hände an den Schenkeln ab und bemerkte stirnrunzelnd, daß der Stoff
ihrer Kniehosen über dem einen Knie so dünn war, daß bereits ihre Haut durchschimmerte. Schon
vor langer Zeit hatte sie ihre Rockgewandung zugunsten der bequemeren Kleidung eines
Waldläufers abgelegt.
Das Messer in der einen Hand, griff sie nach ihrer anderen Waffe, einem kräftigen Jagdspeer,
dessen Spitze sie ebenfalls gerade geschärft hatte.
Ihr Bündel wollte sie hierlassen, im Gebüsch versteckt. Es würde unnötig sein, lange in den
Ruinen zu verweilen, und vielleicht war es überhaupt nur Zeitverschwendung, dort
hinunterzugehen. Jedenfalls würde Uta sie gewarnt haben, wenn sich dort etwas Größeres als eine
Ratte oder ein Wiesenspringer herumgetrieben hätte, und irgend etwas ließ sich möglicherweise
doch finden.
Obgleich das Tal, so weit sie sehen konnte, verlassen dalag, bewegte sich Brixia mit Vorsicht. In
jedem unbekannten Gelände konnte es zu unerfreulichen Überraschungen kommen, und das Leben
in den vergangenen drei Jahren hatte sie gelehrt, wie schmal die Grenzlinie zwischen Leben und
Tod war.
Sie verschloß ihre Gedanken der Vergangenheit. Allein dem gegenwärtigen Tag zu leben, hielt
einen wachsam und gesund. Daß sie es so lange geschafft hatte, am Leben zu bleiben und bis
hierhin zu kommen, darauf konnte sie stolz sein; was einmal war, hatte jetzt keine Bedeutung mehr.
Selbst die Kleidung, die jetzt ihren mageren, muskulösen Körper bedeckte, war Beutegut.
Die inzwischen so abgetragenen Kniehosen waren aus rauhem, hartem Stoff, ihr Wams aus
Springer-Häuten, grob gegerbt und dann mit eigener Hand zusammengeschnürt, und das
Unterhemd hatte sie im Bündel eines toten Dalesmanns gefunden, als sie auf den Schauplatz eines
Überfalls geriet. Der Dalesmann hatte seine Feinde mit in den Tod genommen. Brixia redete sich
ein, das Hemd als Geschenk eines tapferen Mannes zu tragen. Ihre Füße waren nackt obgleich sie
ein Paar holzbesohlte Sandalen in ihrem Bündel hatte, dazu bestimmt, ihre Füße auf härteren
Wegen zu schützen. Ihre Fußsohlen waren dick und abgehärtet, ihre Zehennägel rauh und
abgebrochen.
Ihre Haare standen in ungebändigter, drahtiger Masse um ihren Kopf, denn sie besaß keinen
anderen Kamm als ihre Finger. Früher einmal hatte es die Farbe von Apfelwein gehabt und war
glatt und glänzend gewesen, und sie hatte es sauber geflochten getragen. Jetzt, ausgebleicht von der
Sonne, glich es eher verwelktem Gras. Aber sie besaß keinen Stolz mehr, was ihre äußere
Erscheinung anging, nur noch darauf, daß sie stark und klug genug war, zu überleben.
Uta, dachte Brixia, war viel gepflegter als sie. Uta war groß für eine Hauskatze, und es mochte
sehr wohl sein, daß sie sich nie zuvor an einem von Menschen entzündeten Feuer gewärmt hatte,
sondern von Geburt an ein wildlebendes Tier gewesen war. Dann allerdings war es um so
merkwürdiger, daß sie sich Brixia angeschlossen hatte.
Es mußte vor etwa einem Jahr gewesen sein, als Brixia eines Nachts erwachte und Uta an ihrem
Feuer sitzen sah, deren Augen den Feuerschein widerspiegelten und wie glühende Kohlen
leuchteten. Brixia hatte in jener Nacht Zuflucht gesucht in einem der mossbewachsenen, dachlosen
Bauten, die von den Alten hinterlassen worden waren. Sie hatte entdeckt, daß jene ziellosen
Herumtreiber, die sie als Feinde betrachten mußte, für solche Ruinen wenig übrig hatten und sie
dort sicher war.
Zuerst war sie ein wenig mißtrauisch gewesen, bei jener ersten Begegnung mit Uta. Aber
abgesehen davon, daß Utas starrer Blick ihr das Gefühl gegeben hatte, in gewisser Weise geprüft zu
werden, war an der Katze nichts Bemerkenswertes gewesen. Ihr Fell war tiefgrau, etwas dunkler
auf dem Kopf, an Pfoten und Schwanz, und wenn die Sonne darauf fiel, hatte es einen bläulichen
Schimmer. Und dieses Fell war so dick und weich wie die kostbaren Stoffe, die Händler früher aus
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