Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen - Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch.pdf

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Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
Der Abenteuerliche
Simplicissimus Teutsch
Nach dem Erstdruck von 1668,
samt der ›Continuatio‹ von 1669
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Das erste Buch
Das 1. Kapitel
Vermeldet Simplicii bäurisch Herkommen und gleichförmige Auferziehung
Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubt, daß es
die letzte sei) unter geringen Leuten eine Sucht, in der die Patienten,
wenn sie daran krank liegen, und so viel zusammen geraspelt und erscha-
chert haben, daß sie neben ein paar Hellern im Beutel ein närrisches Kleid
auf die neue Mode mit tausenderlei seidenen Bändern antragen können,
oder sonst etwa durch Glücksfall mannhaft und bekannt worden, gleich
rittermäßige Herren und adelige Personen von uraltem Geschlecht sein
wollen; da sich doch oft befindet, daß ihre Voreltern Taglöhner, Karchel-
zieher und Lastträger; ihre Vettern Eseltreiber; ihre Brüder Büttel und
Schergen; ihre Schwestern Huren; ihre Mütter Kupplerinnen oder gar
Hexen; und in Summa ihr ganzes Geschlecht von allen 32 Anichen her
also besudelt und befleckt gewesen, als des Zuckerbastels Zunft zu Prag
immer sein mögen; ja sie, diese neuen Nobilisten, sind oft selbst so
schwarz, als wenn sie in Guinea geboren und erzogen wären worden.
Solchen närrischen Leuten nun mag ich mich nicht gleich stellen, obzwar,
die Wahrheit zu bekennen, nicht ohn ist, daß ich mir oft eingebildet, ich
müsse ohnfehlbar auch von einem großen Herrn, oder wenigst einem
gemeinen Edelmann, meinen Ursprung haben, weil ich von Natur ge-
neigt, das Junkernhandwerk zu treiben, wenn ich nur den Verlag und das
Werkzeug dazu hätte. Zwar ohngescherzt, mein Herkommen und Aufer-
ziehung läßt sich noch wohl mit eines Fürsten vergleichen, wenn man nur
den großen Unterscheid nicht ansehen wollte. Was? Mein Knan (denn
also nennet man die Väter im Spessart) hatte einen eignen Palast, so wohl
als ein anderer, ja so artlich, dergleichen ein jeder König mit eigenen
Händen zu bauen nicht vermag, sondern solches in Ewigkeit wohl unter-
wegen lassen wird; er war mit Leimen gemalet und anstatt des unfrucht-
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baren Schiefers, kalten Bleis und roten Kupfers mit Stroh bedeckt, darauf
das edel Getreid wächst; und damit er, mein Knan, mit seinem Adel und
Reichtum recht prangen möchte, ließ er die Mauer um sein Schloß nicht
mit Mauersteinen, die man am Weg findet oder an unfruchtbaren Orten
aus der Erden gräbt, viel weniger mit liederlichen gebackenen Steinen,
die in geringer Zeit verfertigt und gebrannt werden können, wie andere
große Herren zu tun pflegen, aufführen; sondern er nahm Eichenholz
dazu, welcher nützliche edle Baum, als worauf Bratwürste und fette
Schinken wachsen, bis zu seinem vollständigen Alter über hundert Jahr
erfordert: Wo ist ein Monarch, der ihm dergleichen nachtut? Seine Zim-
mer, Säl' und Gemächer hatte er inwendig vom Rauch ganz erschwarzen
lassen, nur darum, dieweil dies die beständigste Farb von der Welt ist,
und dergleichen Gemäld bis zu seiner Perfektion mehr Zeit brauchet, als
ein künstlicher Maler zu seinen trefflichsten Kunststücken erfordert. Die
Tapezereien waren das zarteste Geweb auf dem ganzen Erdboden, denn
diejenige machte uns solche, die sich vor alters vermaß, mit der Minerva
selbst um die Wett zu spinnen. Seine Fenster waren keiner anderen Ursa-
che halber dem Sant Nitglas gewidmet, als darum, dieweil er wußte, daß
ein solches vom Hanf oder Flachssamen an zu rechnen, bis es zu seiner
vollkommenen Verfertigung gelangt, weit mehrere Zeit und Arbeit kostet
als das beste und durchsichtigste Glas von Muran, denn sein Stand macht'
ihm ein Belieben zu glauben, daß alles dasjenige, was durch viel Mühe
zuwege gebracht würde, auch schätzbar und desto köstlicher sei, was aber
köstlich sei, das sei auch dem Adel am anständigsten. Anstatt der Pagen,
Lakaien und Stallknecht hatte er Schaf, Böcke und Säu, jedes fein or-
dentlich in seine natürliche Liberei gekleidet, welche mir auch oft auf der
Weid aufgewartet, bis ich sie heim getrieben. Die Rüst- oder Har-
nischkammer war mit Pflügen, Kärsten, Äxten, Hauen, Schaufeln, Mist-
und Heugabeln genugsam versehen, mit welchen Waffen er sich täglich
übet'; denn Hacken und Reuten war seine disciplina militaris wie bei den
alten Römern zu Friedenszeiten, Ochsen anspannen war sein hauptmann-
schaftliches Kommando, Mist ausfahren sein Fortifikationwesen und
Ackern sein Feldzug, Stallausmisten aber seine adelige Kurzweil und
Turnierspiel; hiermit bestritt er die ganze Weltkugel, soweit er reichen
konnte, und jagte ihr damit alle Ernt ein reiche Beut ab. Dieses alles setze
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ich hintan und überhebe mich dessen ganz nicht, damit niemand Ursach
habe, mich mit andern meinesgleichen neuen Nobilisten auszulachen,
denn ich schätze mich nicht besser, als mein Knan war, welcher diese
seine Wohnung an einem sehr lustigen Ort, nämlich im Spessart liegen
hatte, allwo die Wölf einander gute Nacht geben. Daß ich aber nichts
Ausführliches von meines Knans Geschlecht, Stamm und Namen für
diesmal doziert, geschiehet um geliebter Kürze willen, vornehmlich, weil
es ohne das allhier um keine adelige Stiftung zu tun ist, da ich soll auf
schwören; genug ists, wenn man weiß, daß ich im Spessart geboren bin.
Gleich wie nun aber meines Knans Hauswesen sehr adelig vermerkt wird,
also kann ein jeder Verständige auch leichtlich schließen, daß meine
Auferziehung derselben gemäß und ähnlich gewesen; und wer solches
dafür hält, findet sich auch nicht betrogen, denn in meinem zehenjährigen
Alter hatte ich schon die principia in obgemeldten meines Knans adeligen
Exerzitien begriffen, aber der Studien halber konnte ich neben dem be-
rühmten Amphistidi hin passieren, von welchem Suidas meldet, daß er
nicht über fünfe zählen konnte; denn mein Knan hatte vielleicht einen viel
zu hohen Geist, und folgte dahero dem gewöhnlichen Gebrauch jetziger
Zeit, in welcher viel vornehme Leute mit Studieren oder, wie sie es nen-
nen, mit Schulpossen sich nicht viel bekümmern, weil sie ihre Leut ha-
ben, der Blackscheißerei abzuwarten. Sonst war ich ein trefflicher Musi-
cus auf der Sackpfeifen, mit der ich schöne Jalemj-Gesäng machen
konnte. Aber die Theologiam anbelangend, laß ich mich nicht bereden,
daß einer meines Alters damals in der ganzen Christenwelt gewesen sei,
der mir darin hätte gleichen mögen, denn ich kennete weder Gott noch
Menschen, weder Himmel noch Höll, weder Engel noch Teufel, und
wußte weder Gutes noch Böses zu unterscheiden: Dahero ohnschwer zu
gedenken, daß ich vermittelst solcher Theologiae wie unsere ersten Eltern
im Paradies gelebt, die in ihrer Unschuld von Krankheit, Tod und Ster-
ben, weniger von der Auferstehung nichts gewußt. O edels Leben! (du
mögst wohl Eselsleben sagen) in welchem man sich auch nichts um die
Medizin bekümmert. Eben auf diesen Schlag kann man mein Erfahrenheit
in dem Studio legum und allen andern Künsten und Wissenschaften, so-
viel in der Welt sind, auch verstehen. ja ich war so perfekt und vollkom-
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