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Xenophon
Die Verfassung
der Spartaner
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XENOPHON
DIE VERFASSUNG DER SPARTANER 1
1.(1) Nun, 2 als ich einmal darüber nachdachte, daß Sparta, obwohl
es zu den Städten mit der geringsten Bürgerzahl 3 zählt, sich offen-
kundig dennoch als die mächtigste und berühmteste in Griechenland
erwiesen hat, wunderte ich mich, wie dies überhaupt geschehen
konnte. Als ich nun aber die Einrichtungen der Spartiaten näher be-
trachtete, hörte ich auf, mich zu wundern. (2) Lykurg aber, der ihnen
Gesetze gab, durch deren Beachtung sie glücklich wurden, bewundere
ich, und ich halte ihn zugleich für einen äußerst weisen Mann. 4 Indem
jener nämlich nicht andere Städte nachahmte, sondern vielmehr sol-
ches, was den Bestimmungen der meisten entgegengesetzt ist, erließ,
führte er seine Vaterstadt zu außerordentlichem Glück.
(3) Sprechen wir gleich von der Kindererzeugung, 5 um ganz von
vorne zu beginnen. Die anderen Gesetzgeber geben denjenigen Mäd-
chen, die künftig Kinder bekommen und eine gute Erziehung erhalten
sollen, eine möglichst schlichte Ernährung und möglichst wenig
Zukost. Wein dürfen sie, während sie heranwachsen, entweder gar
nicht oder höchstens mit Wasser vermischt trinken. Wie die meisten
Handwerker ihr Gewerbe in der Werkstatt sitzend ausüben, so halten
es die anderen Griechen für richtig, daß auch die Mädchen in häus-
licher Abgeschiedenheit Wolle bearbeiten. Wie kann man nun erwar-
ten, daß Mädchen, die auf solche Weise erzogen wurden, irgendetwas
Großartiges zur Welt bringen? (4) Lykurg glaubte indes, daß auch
Sklavinnen 6 geeignet seien, Kleidungsstücke herzustellen; die wich-
tigste Aufgabe für freie Frauen, so meinte er, sei jedoch, Kinder zu
gebären; deshalb verordnete er zunächst, daß das weibliche Ge-
schlecht seinen Körper nicht weniger übe als das männliche. Sodann
führte er ein, daß die Mädchen - ebenso wie die Knaben - im Wett-
kampf gegeneinander ihre Schnelligkeit und Körperkraft messen soll-
ten, da er der Überzeugung war, daß - wenn beide Elternteile kräftig
seien - auch ihre Nachkommenschaft kräftiger sei. 7
(5) Da er sah, daß die Männer andernorts in der ersten Zeit unmit-
telbar nach der Heirat ohne rechtes Maß mit ihren Frauen verkehren,
ordnete er auch hiervon das Entgegengesetzte an: er bestimmte, der
Mann solle Scham empfinden, gesehen zu werden, wenn er zu seiner
Frau geht oder wenn er sie verläßt. Verkehren sie in dieser Weise
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miteinander, verstärkt sich notwendigerweise ihr gegenseitiges Ver-
langen, und ihre Nachkommen, die sie hervorbringen können, werden
so eher kräftiger sein, 8 als wenn die Eltern einander überdrüssig sind.
(6) Überdies unterband er die Gewohnheit, daß ein jeder, wenn er
wolle, sich eine Frau nehme, und ordnete an, daß die Ehen auf dem
Höhepunkt der körperlichen Kraft geschlossen werden sollen, 9 da er
der Auffassung war, dies komme der Zeugung gesunder Kinder zu-
gute. 1 0
(7) Sollte freilich der Fall eintreten, daß ein alter Mann eine junge
Frau habe, bestimmte er auch hier das (den Einrichtungen der anderen
Griechen) Entgegengesetzte, da er sah, daß Männer in hohem Alter
ihre Frauen besonders sorgfältig bewachen. Er richtete nämlich ein, 1 1
daß der alte Mann einen Jüngeren, dessen Erscheinung und Charakter
ihm gefalle, zu sich nach Hause hole, um sich von diesem Kinder
zeugen zu lassen. 1 2 (8) Wenn aber einer wiederum nicht mit einer
Frau zusammenleben wollte, sich aber dennoch ansehnliche Kinder
wünschte, so erließ er auch für diesen Fall ein Gesetz, das ihm erlaub-
te, sich eine Frau zu suchen, von der er sah, daß sie viele Kinder
haben werde und aus gutem Hause stammte, und mit ihr, falls er die
Zustimmung ihres Ehemannes einholen konnte, Kinder zu haben. (9)
Noch viele vergleichbare Zugeständnisse machte er; denn die Frauen
wollen nämlich über zwei Haushaltungen herrschen 1 3 und die Männer
für ihre Kinder noch weitere Brüder erhalten - Brüder, die zwar an
dem Ansehen und an der Macht des Geschlechtes teilhaben, aber
keine materiellen Ansprüche erheben. 1 4
(10) Lykurg erließ also Gesetze über die Kindererzeugung, die den
Bestimmungen im restlichen Griechenland entgegengesetzt waren; ob
er hierdurch für Sparta Männer hervorbrachte, die sich durch Größe
und Kraft auszeichneten, mag, wer immer will, genauer prüfen.
jetzt auch 1 5 die Erziehung 1 6 beider (der Lakedaimonier und der ande-
II. (1) Nachdem ich mich mit der Zeugung befaßt habe, will ich
ren Griechen) 1 7 darlegen. 1 8
Bei den anderen Griechen geben die, welche behaupten, ihre Söhne
am besten zu erziehen, diese in die Obhut von Dienern, (sogenannten)
paidagogoi, sobald die Kinder verstehen können, was zu ihnen gesagt
wird, und schicken sie sofort zu Lehrern, damit sie Lesen und Schrei-
ben, die Musik und die Übungen in der Palaistra lernen. Darüber hin-
aus verweichlichen sie die Füße ihrer Kinder, indem sie ihnen Schuhe
geben, und schwächen den Körper durch Wechsel von Kleidung; den
Magen betrachten sie als Maß für ihre Nahrung.
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(2) Lykurg aber, statt daß ein jeder privat Sklaven als paidagogoi
für seine Kinder einsetzt, stellte sie unter die Aufsicht eines Mannes,
der aus derselben Schicht wie diejenigen kommt, die die höchsten
Ämter bekleiden; dieser wird daher auch paidonomos 19 genannt. Lyk-
urg ermächtigte ihn, die Knaben zu versammeln, sie zu mustern und
Leichtsinn hart zu bestrafen. Ihm stellte er ebenfalls eine Gruppe von
angehenden Männern 2 0 zur Seite, denen Peitschen gegeben wurden,
um - falls nötig - zu strafen, so daß dort große Scheu und strenger
Gehorsam 2 2 herrscht. (3) Statt die Füße durch Schuhe zu verweich-
lichen, ordnete Lykurg an, sie durch Barfußgehen zu kräftigen, da er
glaubte, daß sie, wenn sie sich hierin übten, viel leichter eine Stei-
gung bewältigten und sicherer einen Abhang hinunterschritten, und
daß einer geschickter in die Weite und Höhe springe und schneller
laufe ohne Schuhe als mit Schuhen, vorausgesetzt daß er seine Füße
geübt habe. (4) Und anstatt sie durch Gewänder zu verhätscheln, ver-
ordnete er, sie sollten sich das Jahr hindurch an ein Gewand gewöh-
nen, da er glaubte, daß sie so besser gegen Kälte und Hitze gewappnet
wären. 2 3 (5) In Bezug auf die Ernährung bestimmte er, daß der junge
Mann 2 4 so viel zum gemeinsamen Mahl beitrage, 2 5 daß sie einerseits
nicht durch Übersättigung beschwert würden, sie andererseits aber
den Mangel zu ertragen lernten; denn er war der Überzeugung, daß
diejenigen, die so erzogen würden, eher ohne Nahrung Anstrengun-
gen ertragen könnten, sollte es erforderlich sein, daß sie länger, wenn
es befohlen würde, mit dergleichen Ration auskämen, daß sie weniger
einer Zukost bedürften, daß sie bereitwilliger jede Speise annähmen
und daß sie gesünder lebten. Auch meinte er, eine Nahrung, die den
Körper schlank halte, sei geeigneter für das Wachstum als eine, die
den Körper dick mache.
(6) Damit sie jedoch durch Hunger nicht zu sehr gequält würden,
erlaubte er ihnen zwar nicht, sich ohne Anstrengung das zu nehmen,
was sie darüber hinaus noch wünschten, gestand ihnen aber zu, eini-
ges zu stehlen, um den Hunger zu stillen. 2 6 (7) Es wird, wie ich
meine, keinem unbekannt sein, daß er nicht aus Unvermögen, sie zu
versorgen, ihnen gestattete, durch eigene Bemühungen und List die
Nahrung zu beschaffen. Vielmehr ist offenkundig, daß derjenige, der
stehlen will, sowohl des Nachts wach bleiben als auch am Tage täu-
schen und im Hinterhalt liegen muß; und will er etwas bekommen, ist
es nötig, daß er Kundschafter bereithält. Es ist offenkundig, daß seine
ganze Erziehung darauf abzielte, die Knaben gewandter in der eigen-
verantwortlichen Beschaffung von Lebensmitteln und tauglicher für
den Krieg zu machen.
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(8) Vielleicht wendet jemand nun ein, warum er, wenn er Stehlen
für eine nützliche Sache hielt, demjenigen, der dabei ertappt wurde,
viele Schläge auferlegte. Meine Antwort lautet: Weil auch bei den
anderen Dingen, die Menschen lehren, sie denjenigen züchtigen, der
seine Sache nicht richtig macht. 2 7 Und jene bestrafen also diejenigen,
die beim ungeschickten Stehlen ertappt werden. (9) Er setzte zugleich
fest, es sei trefflich, so viel Käse wie möglich vom Altar der Artemis
Orthia zu stehlen, und befahl anderen, die (Diebe beim Altar der Göt-
tin) auszupeitschen, um damit zu verdeutlichen, daß es möglich ist,
mit einer kurzen Zeit des Schmerzes sich einer langen Zeit des Ruh-
mes zu erfreuen. 2 8 Hierin wird auch deutlich, daß dort, wo Schnellig-
keit vonnöten ist, der Träge am wenigsten Vorteile, sondern vielmehr
die meisten Unannehmlichkeiten hat.
(10) Um aber die Knaben selbst während der Abwesenheit des pai-
donomos nicht ohne Aufseher zu lassen, bestimmte Lykurg, daß jeder
gerade anwesende Bürger ermächtigt sei, den Knaben vorzuschreiben,
was er für gut erachte, und sie zu bestrafen, wenn sie sich irgendetwas
zuschulden kommen ließen. Durch diese Einrichtung gelang es ihm,
daß die Knaben auch größere Scheu (vor Verfehlungen) empfanden,
denn sowohl Knaben als auch Männer haben vor nichts größeren
Respekt als vor den Amtsträgern. 2 9 (11) Damit die Knaben aber auch
dann nicht ohne Aufseher wären, sollte zufällig einmal kein Mann
zugegen sein, setzte er fest, daß der begabteste der jungen Männer
(= Eirenen) die Aufsicht über jede Abteilung 3 0 führe; daher sind dort
(= in Sparta) die Knaben niemals ohne Aufseher. 3 1
(12) Es scheint mir nötig, auch über die Knabenliebe 3 2 ein Wort zu
sagen, denn auch diese ist von gewisser Bedeutung für die Erzie-
hung. 3 3 Die anderen Griechen nämlich verkehren entweder wie die
Boioter als Mann und Knabe zusammen, als seien sie verheiratet, 3 4
oder sie genießen wie die Eleer die jugendliche Schönheit 3 5 durch
Gefälligkeiten; andererseits gibt es Griechen, welche die Liebhaber
gänzlich von den Knaben fernhalten, so daß sie sich nicht einmal
miteinander unterhalten können. 3 6 (13) Lykurg aber beschritt auch
hier einen völlig anderen Weg: 3 7 Wenn irgendein Mann, der so ist,
wie er sein soll, an der Persönlichkeit eines Knaben Gefallen finde
und danach strebe, ihn sich zu einem makellosen Freund zu machen
und mit ihm zusammenzusein, so billigte er dies und glaubte, dies sei
die beste Erziehung; wenn einer sich allerdings von dem Körper eines
Knaben offensichtlich angezogen fühlte, erklärte er dies für eine
furchtbare Schande, und bewirkte so, daß sich in Sparta die Liebhaber
von den geliebten Knaben nicht weniger fernhalten, als sich Eltern
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